Hoimar von Ditfurth - Die Webseite

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Naturwissenschaft läßt sich auch definieren als jener geistige Prozeß, der es dem Menschen möglich macht, sich von einer anthropozentrischen Weltbetrachtung zu befreien.

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Der folgende Text Die Wirklichkeit ist nach oben offen Die Wirklichkeit ist nach oben offen (S. 125 bis 127) und das Interview Glut unter der Asche Glut unter der Asche (S. 128 bis 135) stammen aus dem Buch Leben ist mehr von Wolf-Rüdiger Schmidt, erschienen 1988 als GTB Sachbuch (ISBN 3-579-00957-5) im Gütersloher Verlagshaus LINK: www.gtvh.de

Anmerkung [hb]Am 18. September 2005 habe ich die für Lizenzen zuständige Mitarbeiterin des Gütersloher Verlagshauses wie folgt angeschrieben:
Sehr geehrte Frau XXX,
seit 2001 unterhalte ich eine Webseite über Hoimar von Ditfurth (www.hoimar-von-ditfurth.de), den 1989 verstorbenen Wissenschaftler und Publizisten. Im Zusammenhang mit meinen Recherchen bin ich kürzlich auf das in Ihrem Verlag erschienene Buch "Leben ist mehr" von Wolf-Rüdiger Schmidt gestoßen (ISBN3-579-00957-5, 1988), in dem auf den Seiten 125 bis 135 ein Interview mit Hoimar von Ditfurth enthalten ist.
Ich würde diesen Text gerne auf meiner o. a. Webseite veröffentlichen und bitte Sie hiermit um Ihre freundliche Genehmigung. Selbstverständlich werde ich dazu auch ein Link zu Ihrem Verlagshaus schalten.
Für Ihre Zusage bedanke ich mich im Voraus.
Mit freundlichen Grüßen
Heinz Boente
Derzeit warte ich immer noch auf eine Antwort. Im Falle einer Absage werde ich diese Seite sofort wieder entfernen.


Die Wirklichkeit ist nach oben offen

Hoimar von Ditfurth kennen viele vom Bildschirm. Er ist ein herausragender Wissenschaftsautor. Der Professor für Psychiatrie und Neurologie steht aber auch für eine neue, dringende und mehrfach wiederholte naturwissenschaftliche Anfrage an Theologie und herkömmliche Religion.

Denn Hoimar von Ditfurth hat spätestens mit seinem Buch Wir sind nicht nur von dieser Welt im Jahre 1981 gezeigt, daß es heute große Chancen für eine Verbindung der naturwissenschaftlichen Deutung der Welt mit der religiösen Interpretation der Wirklichkeit gibt.

Im Zentrum der Annäherung steht auch für Ditfurth - wie für andere Naturwissenschaftler - der Gedanke der Evolution. Ditfurths Interesse ist es nicht nur, Theologie und christlichen Glauben mit dem ungeliebten, aber geduldeten Evolutionskonzept vertraut zu machen. Noch mehr interessiert ist der Naturwissenschaftler daran, innerhalb eines evolutiven Weltbildes jene Elemente zu entfalten, die den alten Menschheitsbegriff »Schöpfung« in einem neuen, vertieften Licht erscheinen lassen. Dies wäre ein großes Gesprächsangebot an die Kirchen - Ditfurth selbst versteht es so -, aber es ist bisher mit kleinen Ausnahmen kaum als solches aufgenommen worden. Lediglich Günter Altner hat sich theologisch sorgfältig und nicht nur in Anmerkungen mit "Evolution und Transzendenzerfahrung bei Hoimar von Ditfurth" befaßt (siehe: Die Überlebenskrise in der Gegenwart).

Im Mittelpunkt der Überlegungen Ditfurths steht der Versuch, "Evolution als Augenblick der Schöpfung" zu begreifen. Der Mensch nimmt aufgrund seines evolutiv begrenzten, unvollkommenen Gehirns Schöpfung als langwierig sich hinziehenden Prozeß der kosmischen und biologischen Entwicklung wahr. Der Mensch erlebt also zeitlich aufeinanderfolgende Ereignisse quasi von innen, die von außen unter der Annahme einer Transzendenz als Augenblick der Schöpfung zu beschreiben wären. Hoimar von Ditfurth glaubt, "daß kosmische und biologische Evolution die Projektion des Schöpfungsereignisses in unseren Gehirnen sind. Daß die Entwicklungsgeschichte der unbelebten und der belebten Natur die Form ist, in der wir 'von innen' die Schöpfung miterleben, die 'von außen', aus transzendentaler Perspektive, in Wahrheit also der Akt eines Augenblicks ist".

Für Ditfurth ist Religion eine Form des überindividuellen Wissens, das sich in mythologischer Sprache ausdrückt. Damit ist nicht gemeint, daß die dem Menschen eigene Religiosität bloß ein Relikt aus überholten Epochen der kulturellen Geschichte sei. Sie ist vielmehr eine in der Evolution zum Ausdruck kommende überindividuelle Einsicht, "daß diese Welt nicht aus sich heraus zu erklären ist". Was an dieser Stelle nur angedeutet werden kann, könnte zur Definition religiöser Sprache, also des Redens von Gott und dem Leben, höchst folgenreich sein, sobald die auch von Ditfurth beklagten gegenseitigen Berührungsängste abgebaut sind. Der Naturwissenschaftler selbst zeigt an zahlreichen Punkten, wo das Gespräch fruchtbar werden könnte.

Es ist wohl Hoimar von Ditfurths besonderes und eigenes Verdienst, daß er das in der mythologisch-religiösen Sprache erfaßte überindividuelle Wissen der Menschheit im Gesamtkonzept eines prozessualen Weltbildes festzumachen versucht und dabei einen besonderen Akzent auf die evolutiv begrenzte Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen setzt. Die Evolution unseres Verstandes als "Haushaltsverstand" sichert primär unser Überleben und weist doch in seiner Evolution über sich selbst hinaus. Die Evolution zeigt, daß es auch für den Menschen und nicht nur für Tiere Räume von Wirklichkeit geben muß, die weit über die jeweils wahrgenommenen Bereiche hinausweisen.

Die Wirklichkeit - so erklärt es Ditfurth seinem Gast - "ist noch nach oben offen, auch wenn wir nur einen kleinen begrenzten Ausschnitt erleben. Ich darf mal ganz handgreiflich formulieren: Wir halten es immer für selbstverständlich, daß eine Ameise von den Sternen nichts weiß. Und daß ein noch so intelligenter Affe nicht die geringsten Chancen hat, jemals zu begreifen, was es mit dem kleinen gelben Fleckchen auf sich hat, als der sich der Vollmond nachts auf seinem Augenhintergrund projiziert. Der ist da, den sieht er. Von der Möglichkeit auch nur den blassesten Begriff zu bekommen, um was es sich dabei handelt, ist er weit entfernt. Nur im Bezug auf uns selbst sind wir immer wieder der Meinung, daß wir mit unseren Sinnesorganen, die ja das Produkt dieser gleichen Entwicklung sind, das Endgültige vor uns haben, daß die wahre Realität identisch ist mit der Welt, die wir erleben. Gerade die evolutive Betrachtung zwingt uns, daß dasjenige, was wir wahrnehmen und uns auch vorstellen können, nicht das Absolute ist, sondern auch nur ein - natürlich die Welt der Ameise, die Welt des Reptils, die Welt des Affen weit Übergreifendes. Aber es bleibt immer noch vergleichsweise ein winziger Ausschnitt aus dem, was uns umgibt. Unsere Welt ist in Wirklichkeit weit über unseren Erkenntnishorizont hinaus offen".

Der Mensch - so erklärt Hoimar von Ditfurth - ist also zur Selbsttranszendenz fähig: "Die Evolution erschließt ihren Geschöpfen immer weitere Bereiche der Transzendenz... Und: Das Gehirn erzeugt den Geist nicht, der vermittels dieses Organs in unserem Bewußtsein aufgetaucht ist. Das Psychische, der Tatbestand des Seelischen, der sich aus den Grenzen unserer materiellen Wirklichkeit auf keinerlei Weise ableiten läßt, könnte dadurch zustande kommen, daß die Evolution es fertiggebracht hat, unser Gehirn auf einen Entwicklungsstand zu bringen, der in ihm einen ersten Reflex des Geistes einer jenseitigen Wirklichkeit entstehen läßt". Dies alles, hier nur angedeutet, müßte für die Theologie und das religiöse Empfinden unserer Tage eine starke Belebung sein, die nicht in kurzen Stellungnahmen allein abgehandelt werden darf. Die Auseinandersetzung zwischen der alten mythologischen Erkenntnis von Wirklichkeit einerseits und der erweiterten Deutung der Welt im Rahmen eines evolutiven Weltbildes andererseits könnte - ernst genommen - in fast alle theologischen Bereiche hineinwirken. Nicht zuletzt wären auch die ethischen und ökologischen Fragen betroffen. Aspekte eines erweiterten Gespräches deutet das folgende Interview an, das ich mit dem Naturwissenschaftler Hoimar von Ditfurth führte.


Glut unter der Asche - Gespräch mit Hoimar von Ditfurth:

Schmidt
 

Herr Professor von Ditfurth, immer wieder haben Sie sich in den letzten Jahren zu Problemen der Religion geäußert. Sie haben an Kirche und Theologie eine Reihe von sehr kritischen Fragen gestellt, zuletzt in Ihrem Buch Unbegreifliche Realität, vorher 1981 unter dem programmatischen Titel Wir sind nicht nur von dieser Welt. Es waren Fragen aus naturwissenschaftlicher Sicht. Woher persönlich kommt diese Perspektive Naturwissenschaft-Religion?

Ditfurth
 

Eigentlich habe ich diese Perspektive aus einer gewissen Frustration heraus aufgegriffen. Ich bin so aufgewachsen, daß ich die Naturwissenschaft als natürlichen Gegner einer religiösen Interpretation der Welt und der eigenen Existenz kennengelernt habe. Je länger ich mich mit Naturwissenschaft dann übergreifend beschäftigt habe, desto mehr sah ich, daß im naturwissenschaftlichen Denken ganz bestimmte Ansichten über die Welt bereitliegen, die der Theologie und damit einer religiösen Interpretation der Welt sehr gelegen kommen sollten. Denn sie bestätigen zum Teil uralte theologische Positionen, die dort allerdings in einer archaischen Sprache abgefaßt sind.

Schmidt

Sie sprechen das heutige Selbstverständnis von Religion mehrfach kritisch als eine "Sonderwirklichkeit" an. Für Sie kann es aus einer naturwissenschaftlich-philosophischen Sicht keine Sonderwirklichkeit geben, sozusagen losgelöst vom allgemeinen Welterkennen einer Zeit. Beides müßte aufeinander zugeordnet werden.

Ditfurth

Zu den unberechtigten Gefühlen einer objektiven Gegnerschaft zwischen einer naturwissenschaftlichen und einer religiösen Betrachtung der Welt gehört als typische Konsequenz die von den meisten Menschen vielleicht gar nicht reflektierte Meinung, daß man gleichzeitig in zwei verschiedenen Welten lebt. Da ist einmal die Welt, in der wir als körperlicher Organismus funktionieren, gesund oder krank, leistungsfähig oder behandlungsbedürftig, da ist die Welt der Technik, der Autos und Haushaltsgeräte; da ist die Welt, in der die Physiker immer wieder erstaunliche Entdeckungen machen, die Strukturen des Kosmos beschreiben, schwarze Löcher, Quasare u. ä. Und dann gibt es für viele Menschen, solange sie gläubig sind oder zumindest trotz allem am Glauben festhalten wollen, trotz aller in ihren Augen unabweisbaren naturwissenschaftlichen Kritik als Refugium eine Welt, die als göttliche Schöpfung zu betrachten ist. Diese Welt stellt sich dann als eine ganz andere, eine zweite Welt dar, in der wir auf irgendeine geheimnisvolle und unerklärliche und im allgemeinen auch nicht durchdachte Weise gleichzeitig mit der naturwissenschaftlichen Welt zusammenleben. Eine merkwürdige Form existentieller Schizophrenie.

Schmidt

Wenn das Stichwort "Schöpfung" im religiösen Bereich fällt - seit einigen Jahren geschieht das immer heftiger - denkt man bis heute zunächst an etwas Abgeschlossenes; an einen Vorgang, der einmal geschehen ist, auch wenn man wahrnimmt, daß die naturwissenschaftliche Sicht in eine ganz andere Richtung deutet: die Welt als offenes System, sich selbst überschreitend, in wachsender Musterkomplexität usw... Wie ist das zusammenzubekommen?

Ditfurth

In dieser Form ist das gar nicht zusammenzubekommen. Wenn in der konventionell theologischen Sicht die Welt als Schöpfung dasteht und dann nach göttlichem Schöpferplan funktioniert, dann tauchen bestimmte typische Fragen auf: Wie ist etwa das Verhältnis von Gott und Welt heute zu denken? Gibt es die Möglichkeit, daß Gott den einzelnen im Auge hat, sein Schicksal in irgendeiner Weise beeinflußt, daß er auf seine göttliche Weise eingreift? Was dann, wenn ich davon ausgehe, daß die Welt als Schöpfung fertig dasteht seit dem Augenblick der Schöpfung und selbständig weiterläuft? Dann führt diese Sicht auch zu der Annahme, die verständlicherweise für viele naturwissenschaftlich Denkende ein Stein des Anstoßes ist, daß Gott in diesem Moment dann vorübergehend die von ihm selbst geschaffenen Naturgesetze außer Kraft setzt für den Augenblick, während dem er eingreift. Ein altes Problem. Im Unterschied zu diesem statischen Weltbild und Schöpfungsverständnis, das in der theologischen Tradition unbewußt und häufig ungeklärt fortlebt, - auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt -, steht das Weltbild der modernen Naturwissenschaft, die längst aufgehört hat, die Welt als etwas Statisches zu sehen. Wir wissen doch, daß diese Welt fest und unveränderlich nur wirkt aufgrund unseres viel zu kleinen Zeitmaßstabes, unserer im Verhältnis zu kosmischen Prozessen extrem kurzen Lebenszeit. In Wirklichkeit ist der Kosmos Geschichte, Geschichte mit aller Konsequenz; der Kosmos selbst hat als physisches, materielles System in früheren Zeiten ganz anders ausgesehen als heute und wird in fernerer Zukunft sich weiterhin verändern und anders aussehen, als wir ihn heute erleben. Er hat nach Aussage der Naturwissenschaft irgendwann einen Anfang gehabt, und er wird eines Tages an ein Ende kommen. Er ist selbst Geschichte und wandelt sich dabei fortwährend.

Schmidt

Insofern müßte von Schöpfung heute als einer werdenden, einem immer noch werdenden Prozeß gesprochen werden. Schöpfung als Evolution...

Ditfurth

Das ist einer meiner zentralen Vorschläge gewesen, den ich plausibel und in allgemein verständlicher Sprache oft entfaltet habe, auf den ich zu meiner Enttäuschung von der theologischen Seite - mit Ausnahme einiger wichtiger und dankbar begrüßter Aussagen - keine Reaktionen gehört habe. Daß nämlich dieser ganze Kosmos und die Geschichte dieses Kosmos nichts anderes ist als der Augenblick der Schöpfung. Daß wir von innen in diesem Kosmos und als Teil von ihm die Schöpfung miterleben, die für unseren evolutiv beschränkten Horizont und unseren begrenzten Zeitmaßstab vor vielen Milliarden Jahren begonnen hat und in 60-80 Milliarden Jahren zum Abschluß kommen wird; daß das alles von einem jenseitigen Zeiterleben aus - populär unter dem Aspekt der Ewigkeit - der Augenblick ist, in dem die Schöpfung sich vollendet.

Schmidt

Die Schöpfung geht also weiter?

Ditfurth

Wir erleben den Fortgang der Schöpfung in einer extremen Zeitlupe von innen als die Geschichte dieses Kosmos.

Schmidt

Das heißt auch, daß der Mensch, der heutige Mensch, nicht der Endpunkt und die Krone der Schöpfung ist, sondern ein Schnittpunkt in dieser langen Geschichte des Lebens?

Ditfurth

Ganz richtig. Etwas salopp formuliert: Wir sind die Neandertaler der Zukunft. Ich glaube, daß wir in der Geschichte dieses Kosmos ganz unvermeidlich auch Übergangsphänomene sind, wie es frühere uns vorangegangene Lebensformen, unsere biologischen Vorläufer, auch gewesen sind. Andererseits glaube ich, daß aus dieser Sicht - der Kosmos als Augenblick der Schöpfung von innen betrachtet - ein ganz neues Gefühl der Verantwortung spürbar wird. Unsere Verantwortung nämlich für jenen kleinen Bereich, in dem uns die Ehre und Verantwortung zuteil wird, in den Ablauf dieser kosmischen Geschichte manipulierend einzugreifen. Hier obliegt es unserer Verantwortung, ob wir den Weitergang der Schöpfung fördern. Ob wir, uns gehorsam ihren Gesetzen unterordnend, der Schöpfung gerecht werden. Oder ob wir diesen Ablauf stören und beeinträchtigen, indem wir das, was wir im Leben der Natur vorfinden, verwechseln mit einem Bergwerk und Magazin an Ressourcen, das wir zu unserem egoistischen Bedarf ausbeuten.

Schmidt

Immerhin könnte es ja sein, daß der Mensch auf der Stufe seiner Evolution selbst zum Faktor der Beschleunigung der Evolution wird.

Ditfurth

Wenn wir das könnten und wenn wir die uns ohne unser Verdienst darbietende Möglichkeit verantwortlich nutzen würden, könnten wir sogar der uns gestellten Aufgabe in einer unglaublich viel umfassenderen Weise gerecht werden, als viele das glauben.

Schmidt

Aber Sie bleiben skeptisch, ob der Mensch, der noch mit den Füßen in der Steinzeit steht, im Kopf schon soweit ist, daß er dieser Verantwortung gerecht werden kann?

Ditfurth

Bisher haben wir z.B. naturwissenschaftliche Grundlagenforschung als eine Art Hure mißbraucht. Wir haben sie sofort abgeklopft auf den Aspekt ihrer Nützlichkeit im Interesse der Steigerung menschlicher Machtmöglichkeiten und der Möglichkeit zur Manipulation, um Lebensgenuß und Lebensstandard zu steigern. Das ist natürlich ein Weg, der gefährlich ist und der sich selbst straft, wie sich im Moment in der ökologischen Bedrohung immer deutlicher zeigt. Also ein Weg, der nicht nur unangemessen und hybride ist, sondern ein Weg, der auch suizidal ist, der zur Selbstausrottung führen muß.

Schmidt

Worte wie diese und anderes, was Sie in letzter Zeit mit großem Erfolg veröffentlicht haben, lassen Sie als Pessimisten erscheinen. Sie vertreten die These, diese Welt, diese Wirklichkeit, von der wir nur einen Ausschnitt wahrnehmen, kann auch ohne den Menschen gut bestehen, was immer dann auch "gut" heißt. Eine Welt ist denkbar ohne den Menschen...

Ditfurth

Durchaus.

Schmidt

Ist das kein Pessimismus?

Ditfurth

Dazu ist viel zu sagen. Das ist nicht pessimistisch; nur wenn man es kurzatmig betrachtet, könnte es Pessimismus sein. Irgendwo ist es für mich sogar tröstlich, weil damit implizite auch die unwiderlegbare Behauptung aufgestellt ist, daß wir trotz aller uns zugewachsenen ungeheuerlichen Möglichkeiten und Mittel der technischen Manipulation nie in der Lage sein werden, die Natur zugrunde zu richten. Davon wird so oft gesprochen. Wir sind fähig, die Natur so zuzurichten, daß sie uns die Lebensgrundlage entzieht, womit die Gattung Mensch ausscheiden würde. Und dann wird sich diese Natur, deren Phantasie ausgereicht hat, uns selbst und unser Gehirn und vieles, was wir nie verstehen werden, hervorzubringen, dann wird sich ihre Kreativität wieder ungestört entfalten können, und es wird keine Spur von uns bleiben, und wir hätten uns selbst aus diesem Spiel durch eigene Schuld fahrlässig entfernt.

Schmidt

Das ist eine sehr schwerwiegende Anfrage an eine christliche Grundvorstellung, die davon ausgeht, daß eine Art Garantie für die Schöpfung, die Welt, die Wirklichkeit besteht. Gott wird seine Hand, seinen Segen nicht abziehen...

Ditfurth

An diese Aussage glaube ich auch und halte daran fest. Aber sie wird trotzdem zu anthropomorph und anthropozentrisch mißverstanden. Sie wird zu sehr aus der Perspektive unseres eigenen egoistischen Interesses in Anspruch genommen. Gott wird diese Welt ihrer Vollendung entgegenführen, ob mit uns oder ohne uns, und wir sind dafür verantwortlich, ob es mit uns oder ohne uns stattfindet.

Schmidt

Stichwort "Vollendung". Sie haben sich zum Thema Evolution und Transzendenz verschiedentlich geäußert. Soweit ich sehe, haben Sie das so intensiv wie kein anderer aus naturwissenschaftlicher Sicht derzeit getan. Es ist eine aus dem theologischen Bereich bis heute unbeantwortete Anfrage. Ist Evolution also zur Transzendenz hin offen, auf ein Überschreiten hin angelegt, auf ein noch in jeder Hinsicht offenes Jenseitiges ausgerichtet?

Ditfurth

Ich glaube, daß Evolution, so wie ich sie zu interpretieren versucht habe, als eine Bewegung des Kosmos zu verstehen ist, durch die er sich im Laufe seiner Geschichte dem geistigen Prinzip immer mehr annähert. Am Ende könnte sogar der Übergang in dieses geistige Prinzip stehen. So wie bisher 10-15 Milliarden Jahre genügt haben, um die Erde und das Sonnensystem hervorzubringen, Leben auf der Erde und während der letzten drei Milliarden Jahre biologische Organismen und schließlich uns entstehen zu lassen, in deren Gehirn wohl erstmals ein schwacher Abglanz dieses geistigen Prinzips auftaucht, so ist der Prozeß eben noch nicht abgeschlossen. Gerade unser Gehirn ist ein Beispiel dafür, daß die Evolution es jedenfalls in diesem einen konkreten Fall fertiggebracht hat, das geistige Prinzip in dieser materiellen Welt zu realisieren. Heute ist es zwar ungewiß, welche Gestalt die Geschichte in Zukunft hervorbringen wird und wie unsere Nachfolger in 10 oder 20 Milliarden Jahren oder bereits früher einmal aussehen werden. Erlaubt ist jedoch folgende Aussage: Bisher hat die Evolution dazu geführt, daß dieses geistige Prinzip sich immer differenzierter manifestieren konnte. So ist es wohl nicht unberechtigt anzunehmen und zu sagen, daß die Evolution darauf zusteuert, die ganze Welt zu vergeistigen.

Schmidt

Die Evolution hat also einen Pfeil, der über unsere Wirklichkeit, über die jeweils immer noch wachsende Musterkomplexität hinausführt, etwas, was auf ein anderes hinweist, das hier schon angelegt ist und dennoch kontingent Neues hervorbringt?

Ditfurth

Ich glaube, daß ein Richtungspfeil in der Evolution nicht zu übersehen ist, und - wie Sie richtig gesagt haben - ich denke auch, daß der Pfeil hinausreicht über die bloße Möglichkeit, materielle Ordnungsstrukturen immer höherer Komplexität entstehen zu lassen. An sich ist dies ja schon ein unerklärliches Wunder, um dies wieder einmal deutlich bewußtzumachen. Der Materie selbst trauen ja viele gar keine Wunder zu. Es ist erstaunlich, daß sie so strukturiert ist, daß dies dabei herauskommt. Darüber hinaus steuert Wirklichkeit allerdings, wenn man es rückblickend betrachtet, der immer konkreteren und differenzierteren Realisierung eines gei stigen Prinzipes in dieser materiellen Welt zu. Es hat, wie gesagt, ja Milliarden Jahre gedauert, bis unser Sonnensystem entstand. Weitere Milliarden Jahre waren bis zur Entstehung von Leben nötig, bis zum Zentralnervensystem, bis zu unseren biologischen Urahnen und bis zu uns selbst. Bis zu uns als den Trägern eines Gehirns, in dem erstmals ein flüchtiger Reflex dieses geistigen Prinzips plötzlich innerhalb einzelner materieller Individuen seiner selbst bewußt wird. Das hat sich Jahrmillionen vorbereitet. Es gibt keinen Grund, der Vermutung zu widersprechen, daß diese Entwicklung sich fortsetzen wird und daß Evolution sich als eine Bewegung in den Dimensionen kosmischer Zeit erweist, in deren Verlaufe sich dieser Kosmos dem geistigen Prinzip immer mehr annähert und immer mehr in ihm aufgeht.

Schmidt

Was heißt das dann aber für die Gottesfrage, sofern sie hier überhaupt noch einen Stellenwert hat? Die Konsequenz könnte sein: Gott in der Evolution, Gott im Werden der Welt. Das ist eine Formulierung, die für die christliche Tradition sicher schwierig ist, aber möglicherweise sehr fruchtbar sein könnte.

Ditfurth

Dazu kann ich als Nichttheologe etwas Wesentliches nicht sagen: Ich komme auf diesem Weg mit Sicherheit nicht bis zu dem persönlichen Gott, an den die Christen glauben. Das nicht. Aber ich komme zu der Aussage, daß das Werden, daß die innovativen Prozesse in dieser Welt, deren Ursache wir nie verstehen werden, stets von Strukturen geringerer Ordnung zu Strukturen immer höherer Ordnung verlaufen. Ich komme bis hin zu der Aussage, daß dieser Prozeß, die Eigenschaften der Materie, die den Prozeß anstoßen und ermöglichen, daß die Gesetze, die ihn steuern, daß die Tatsache, daß überhaupt dieses ganze sonderbare und wunderbare Gebilde existiert, daß das etwas ist, was mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht mehr erklärt werden kann. Dies ist die größte Annäherung, die ich zu dem Begriff Gott auf dem naturwissenschaftlichen Wege sehe. Dann beginnt der legitime Raum der Theologie.

Schmidt

Die Theologie müßte aber dieses evolutive Weltbild, das unser heutiges Weltempfinden zunehmend durchdringt, stets mitschwingen lassen als das bleibende Geheimnis? Es gibt - so verstanden - jeder theologischen Aussage eine neue Qualität: Es ist kein ganz anderer, kein ganz ferner Gott, sondern einer, der im Werden der Welt dem sich seiner selbst bewußt werdenden Menschen etwas Zusätzliches mitteilt...

Ditfurth

Ich wollte, es würde so verstanden. Das ist in der Tat meine Auffassung. Und ich glaube, daß die Theologie in dieser immer mehr von naturwissenschaftlicher Einsicht geprägten Welt sehr viel mehr Gehör finden würde, wenn sie diese Zusammenhänge bewußter berücksichtigen könnte.

Schmidt

Das heißt, daß die alte religiöse und archaische Sprache nicht konkret oder gar konkretistisch ausgelegt und verstanden werden darf, sondern neu gefüllt werden müßte etwa mit dem Bild der Evolution?

Ditfurth

Die alten religiösen Bilder, die Sprache der Psalmen etwa, sind unüberbietbar großartig. Dennoch glaube ich, daß diese alten Bilder Nachrichten, Überzeugungen und Glaubensinhalte beschreiben, die wir nicht mehr voll verstehen, weil sie nicht mehr in unserer Sprache ausgedrückt werden. Wenn wir versuchen würden, in aller Behutsamkeit und in allem Respekt, nichts über Bord zu werfen, aber diese Dimension zu ergänzen durch Beschreibungen der gleichen Glaubensinhalte in unserer heutigen Sprache, könnte Erstaunliches ans Licht kommen. Ich meine nicht die anbiedernden Versuche, das saloppe Alltagsdeutsch. Eher der Versuch der Ergänzung durch jene hochdifferenzierte moderne Sprache, mit der wir die Welt heute beschreiben. Würden wir diesen Übersetzungsversuch wagen, würden wir merken, daß unter der alten Asche viel mehr Glut ist, als viele heute wahrhaben möchten.

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